Alle Leser:innen, die meine Kolumne hier regelmäßig verfolgen, können die ersten Zeilen getrost überspringen. Denn ja, es ist vieles schon dazu gesagt, dass der Markt für gefälschte Waren seit Jahren rasant wächst und der Handel darunter leidet. Jedes Plagiat da draußen, im Onlineshop oder im Geschäft, drückt auf den immateriellen Wert eines Unternehmens, schmälert seinen Umsatz sowie die Wettbewerbsfähigkeit. Konsumierende sehen sich parallel einem steigenden Risiko ausgesetzt – je mehr gefälschte Mode, Kinderspielzeug oder Kopfhörer im Umlauf sind, desto größer die Schäden für die Gesellschaft.
In unserer qualitativen Umfrage aus dem Herbst letzten Jahres bezifferten die Teilnehmenden ihren
jährlichen Schaden durch Fälschungen zwischen einer Million und 50 Millionen Euro. Mehr als 60 Prozent gaben sogar an, dass bereits Kopien ihrer Produkte im Umlauf seine, die Gefahrenpotenzial für Endkunden bürgen. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Dank des aktiven Einsatzes von digitalen Markenschutzmaßnahmen und erhöhter Wachsamkeit entdeckten die Betrogenen einen nicht unerheblichen Teil der Plagiate, bevor die Produkte in den Haushalten landen.
Kunden und Hersteller werden also zunehmend sensibler für Fakes. Heißt das, wir können uns zukünftig entspannt zurücklehnen und Brand Protection Software ihren Job machen lassen? Spoiler: Nein! Warum das so ist, werde ich hier zusammenfassen und erste Handlungsvorschläge unterbreiten.
Was passiert also gerade im Onlinehandel? In den kommenden Monaten und Jahren fließen die reale und digitale Welt erwartungsgemäß noch weiter ineinander. Dadurch treffen Konsumierende auf immer mehr, oft gänzlich neue Onlineräume, über die Handel betrieben wird. Diese Weiterentwicklung des virtuellen Einkaufens schlägt auch für Plagiatoren neue Schneisen frei. Das erweiterte Spektrum fordert Markenhersteller, Handel sowie Beteiligte im Markenrecht heraus. Drei wesentliche Entwicklungen stehen mit vor Augen:
Fakes im Social Commerce
Durch steigende Popularität von Social Networks wie Facebook, Instagram und TikTok verkaufen Hersteller ihre Produkte zunehmend direkt über diese Kanäle und implementieren dezidierte Social-Commerce-Strategien. Begehrte Markenartikel und über Social Media beworbene Produkte locken aber auch Fälscher an, die schnelle Hypes für sich nutzen wollen. Die Accounts dieser Produktpiraten, die meist nichts anderes sind als von Software-Algorithmen gesteuerte Social-Bots, benutzen die gleichen Hashtags, wie die Verkäufer:innen der Originale, um auf ihre Fake-Produkte und Fake-Shops aufmerksam zu machen.
Auch wenn sie in Europa aktuell noch kein Thema sind, werden darüber hinaus Superapps wie WeChat oder Aliplay Raum für Nachahmer bieten. Das Gefährliche ist, dass diese in Asien schon weit verbreiteten Dienste neben Messenger-Funktionen auch E-Commerce- und Payment-Features abdecken. Aufgrund ihres nahezu geschlossenen Systems inklusive Zahlungsabwicklung dienen sie als lohnende Plattform für gefälschte Produkte. Raubkopierer nutzen die komplexe und intransparente Struktur dieser App für ihre Zwecke aus. Um von politischer Seite aus zu unterstützen, plant die EU mit dem Digital Services Act (DSA) ein neues Gesetz. Die Verordnung verpflichtet Plattform-Anbieter dazu, die Identität von Händlern festzustellen und illegale, gemeldete Produkte zu verbannen. Sie fordert Hersteller dazu auf, selbst gezielte Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Marken in allen relevanten Ländern schützen. Unter die Arme greift ihnen Brand Protection Software, die soziale Medien überwacht und verdächtige Produkte meldet.
Markenmissbrauch im Metaverse
Inzwischen drängen viele Marken ins Web 3.0 und etablieren Auftritte auf unterschiedlichen Plattformen. Das Metaverse bietet Markenherstellern enormes Absatzpotenzial, doch müssen die neuen Gestaltungsräume rechtlich, regulatorisch und gesellschaftlich teilweise erst neu erschlossen werden. In Bezug auf Cyber-Kriminalität und Betrug stehen sie schutzloser und schadenanfälliger als andere digitale Plattformen da. Sicherheitslücken zu schließen, kommt große Bedeutung zu. Wie kann die nächste Stufe des Internets nachhaltig gesichert werden? Inhaber geistigen Eigentums sollten sich zwingend rechtlich beraten lassen, ob sie ihre Marken beispielsweise für virtuelle Produkte und Dienstleistungen registrieren lassen. Ebenso empfiehlt sich die Überwachung von Onlineumgebungen auf Verstöße. Weil die Überwachung verschiedener Plattformen erheblichen Aufwand bedeutet, stellen weitsichtige Unternehmen für das Web3 neben einem Marketing- auch ein juristisches Budget bereit.
Gen Z zuckt mit den Achseln und kauft bewusst Fälschungen
Eine aktuelle Studie besagt, dass besonders 26-32-Jährige gefälschte Produkte kaufen würden. [1] Grund: der niedrigere Preis. Durch den Kauf von Plagiaten nehmen Konsument:innen geringere Qualitäten in Kauf. Selbst wenn das Wissen um eine gekaufte Fälschung vorhanden ist, schwingt in der Kaufentscheidung selten das komplette Wissen über das Phänomen Plagiat mit: Von der Lieferkette über die Rohstoffbeschaffung bis hin zum Vertrieb leiden Mensch und Umwelt unter den prekären Bedingungen, Endverbraucher:innen spüren schlussendlich qualitative und gesundheitliche Folgen. Um der Gefährdung von Menschenrechten, Klimaschutz und Gesundheit entgegenzuwirken und eine Änderung herbeizuführen, klärt umfangreiche Information Käufer:innen auf. Rechtlich liegt die Verantwortung beim Fabrikanten und Markeninhaber. Deshalb empfehle ich, detaillierte Informationen zu den Konsequenzen gefälschter Produkte in die Markenkommunikation aufzunehmen. Über Pressearbeit, Beiträgen auf Websites und Partner-Onlineshops verbreiten sich die Informationen schnell und zielgerichtet an Verbraucher:innen.
Was ist die Quintessenz?
Um Verlusten durch Fälschungen vorzubeugen, müssen Markeninhaber und Handelspartner aktiv und in Kooperation mit Zoll und Polizeibehörden gegen Plagiate vorgehen. Betriebsinterne Rechtsabteilungen oder erstattete Strafanzeigen helfen zwar im Nachgang, doch bewegt sich die Kopie dann schon auf dem Markt. Wie die Ergebnisse der eingangs erwähnten Studie zeigen, setzt aktuell ein Umdenken in der Überprüfung der Marktsituation sowie in der Durchsetzung der Produkt- und Markenrechte ein. Jetzt heißt es, den Onlinemarkt und neue Kanäle kontinuierlich zu überwachen, um Plagiatoren einen Schritt voraus zu sein.
Um Plagiate vom Markt zu nehmen, bevor sie in den Handel gelangen, müssen alle Instanzen zusammenarbeiten.
(Bildrechte: Christian Kinlechner / Polizei Frankfurt am Main)
[1] https://www.ey.com/de_de/forms/download-forms/2022/07/ey-studie-produktpiraterie

Nicole Hofmann ist Expertin im Themenfeld Produkt- und Markenschutz. Sie unterstützt Unternehmen im Kampf gegen internationale Produktpiraterie und Markenmissbrauch im Internet.