Mehr Handels- und Handlungsspielräume für Produktfälschungen?
Heute werfe ich mit Ihnen einen Blick auf die nahe Zukunft des Marktes für Plagiate. Was uns schon seit Jahren begleitet ist die Tatsache, dass der Onlinemarkt für gefälschte Waren rasant ansteigt. Nach Aussagen des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) und der Europäischen Kommission wurden alleine in der EU 2021 etwa 86 Millionen gefälschte Waren beschlagnahmt. Das bedeutet einen Anstieg von fast 31 Prozent gegenüber 2020. Nehmen wie beispielhaft den Spielwarenhandel: Ermittler des Zolls fanden im Herbst letzten Jahres bei nur einer Überprüfung drei Millionen gefälschte Spielsachen in einem rheinland-pfälzischen Logistikzentrum, das zu einer Online-Plattform gehört. Auch die Zolljahresstatistik 2021 verdeutlicht, wohin die kriminelle Reise geht: Die Menge aufgegriffener Spielwaren, inklusive elektronischer Spiele und Konsolen, steigerte sich von 2020 auf 2021 um 245 %. Der Wert aller beschlagnahmten Spielwaren im vergangenen Jahr betrug knapp 10 Millionen Euro.
Laut Europol werden die meisten in der EU vertriebenen gefälschten Waren außerhalb der EU hergestellt. Hersteller, deren Produkte als Plagiate das Internet schwemmen, verlieren Reputation und Kundenvertrauen, der Handel verliert Umsatz. Aktuell gelangen die Fakes von der Spirituose bis zum Spielzeug zumeist über klassische Onlinewege zum Verbraucher. Doch in den kommenden Monaten und auch schon im kommenden Jahresendgeschäft müssen sich Unternehmen und Einzelhändler zusätzlich auf neue Vertriebswege und Schauplätze der Fälscher einstellen.
Neue Herausforderungen
Da sind sich alle Beteiligten im E-Commerce einig: Je mehr gefälschte Kosmetik, Spielwaren, Medizinprodukte, Mode und Kopfhörer im Internet auftauchen, desto größer sind die Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft. Die gute Nachricht ist, dass das Bewusstsein für die immensen Schäden durch diese Art der Wirtschaftskriminalität langsam ansteigt. Hersteller setzen auf haptische Echtheitsmerkmale und digitale Nachverfolgung mit Markenschutz-Software, Rechtsabteilungen sind zunehmend alarmiert. Doch die schlechte Nachricht ist, dass diese Wahrnehmungssteigerung nicht ausreicht, um den Fälschern das Wasser abzugraben. Es gibt neue Herausforderungen und Strömungen im Onlinehandel, die die Zunahme von Fakes wahrscheinlich machen:
In unserer vernetzten Welt fließen die reale und digitale Welt weiter ineinander. Damit treffen Konsumierende auf immer mehr Online-Räume, in denen ihnen Produkte angeboten werden. Beispielsweise integrieren nahezu alle relevanten Social Media Plattformen eigene Live Shopping Funktionen, Online-Shops werden zu Marktplätzen für Drittanbieter und virtuelles Einkaufen entwickelt sich mit einer Vielzahl von Technologien stetig weiter. Neue Spielräume für Plagiatoren tun sich auf, was wiederum Markenhersteller, den hybriden Handel und Online-Marktplätze herausfordert.
Auch Social Commerce bedient den Fälschermarkt
Wir konsumieren in einer Zeit, in der immer mehr Menschen über soziale Netzwerke auf Produkte und Services aufmerksam werden. Sie entdecken und kaufen direkt aus ihrem Newsfeed heraus, ohne zusätzlich eine Website oder einen Onlineshop besuchen zu müssen. Hersteller verkaufen ihre Produkte zunehmend über Facebook, Instagram und TikTok und implementieren dezidierte Social-Commerce-Strategien. Auf TikTok beispielsweise entwickeln sich ganz eigene Shopping-Dynamiken durch gehypte Produkte, die schnell wieder ausverkauft sind. Allein der Hashtag #tiktokmademebuyit hat fast 30 Milliarden Hashtag-Aufrufe. Ein mögliches Problem dabei: Sind Produkte schnell wieder von den Plattformen verschwunden, erschwert dies auch die Nachvollziehbarkeit, ob es sich um Originale oder Fälschungen handelt.
Für Marken ergeben sich im Kontext von Social Commerce also neue Möglichkeiten, aber auch altbekannte Gefahren. Je präsenter und begehrter ein Produkt über Social Media beworben wird, desto attraktiver wird das Geschäft auch für Fälscher. Dabei benutzen diese ungeniert die gleichen Hashtags, um auf ihre Fake-Angebote und Fake-Shops aufmerksam zu machen. Oder sie verwenden spezielle Hashtags, die eher einem Code ähneln. #superRX oder #11LV stehen hier als fiktive Beispiele. Diese verbreiten die Trittbrettfahrer dann beispielsweise über Reddit. Hinter vielen Accounts der Produktpiraten stecken keine echten Menschen, sondern Social Bots – Computer mit künstlicher Intelligenz, die, von Software-Algorithmen gesteuert, täglich tausende Posts in die sozialen Netzwerke spülen können. Während Instagram einen Account löscht, entstehen parallel 100 neue.
Zum Ende 2023 erwarten wir einen starken Anstieg von Counterfeits im Social Commerce und Live Commerce. Insbesondere letztere Disziplin steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Doch der Blick nach China und internationale Studien lassen vermuten, dass sich hier zukünftig viel bewegen wird. In China machen prominente Influencer schon heute enorme Umsätze mit Shopping-Formaten. Dazu kommt der Trend des Community Group Buyings in China, bei dem sich WeChat- und andere Social-Gruppen finden, die aufgrund ihrer Community-Größe bei Herstellern geringere Preise für Produkte verhandeln können.
WeChat gilt wie Alipay als Super-App. Gemeint sind Anwendungen, die neben Messenger-Funktionen auch E-Commerce- und Payment-Features abdecken und mit diesem Funktionsumfang viel Einblick in das Nutzungsverhalten ihrer User haben. Super-Apps können Fälschern durch ihr nahezu geschlossenes System inklusive Zahlungsabwicklung als lohnende Plattform für den Verkauf gefälschter Produkte dienen.
Aktuell werden Super-Apps in den USA und in der EU noch nicht so stark genutzt wie erwartet. In die Bresche springen Applikationen wie WhatsApp, wechat oder Telegramm. Sofern die Anwendungen Shopping-Funktionen im privaten Chat bereitstellen, nutzen Fake-Händler sie als lukrativen Vertriebskanal. Und auch Twitter zweigt sich dank Elon Musks Übernahme mittlerweile äußerst intransparent und schwer im Auge zu behalten.
Die Brand Protection Branche steht durch den Anstieg von Social Commerce schon allein technologisch vor großen Herausforderungen. Von Seiten der Hersteller wird es zunehmend wichtig, Social Media Plattformen bei der Verfolgung von Markenrechtsverletzungen mitzudenken.
Alle Maßnahmen ergreifen, alle Möglichkeiten nutzen
Markenhersteller können gezielte Maßnahmen ergreifen, um Fälscher zu stoppen, die Repliken ihrer Produkte über soziale Netzwerke bewerben und vertreiben. Primär sollten sie sicherstellen, dass ihre Marken in allen relevanten Ländern geschützt sind, um Fälschungsfreiräume zu vermeiden. Dazu empfiehlt sich der Einsatz von Brand Protection Software, die soziale Medien überwacht und verdächtige Produkte meldet. Auch eine enge Zusammenarbeit mit den Betreibern sowie Aufklärungskampagnen über Fakes auf Social Media-Kanälen können helfen, den Schaden zu minimieren. Wer noch mehr auf Nummer sicher gehen möchte, der entscheidet sich dafür, seine Produkte nur über autorisierte Händler oder ausschließlich den eigenen Online-Shop oder den eigenen Brand Channel anzubieten.
Markenmissbrauch in digitalen Erlebniswelten
Neben einer starken Social Präsenz drängen inzwischen auch viele Marken ins Metaverse bzw. web3 und etablieren Auftritte auf unterschiedlichen Plattformen, von Fortnite, über Roblox bis hin zu Decentraland und Sandbox. Nahezu alle großen Tech-Unternehmen der Welt arbeiten bereits an ihren eigenen Lösungen zum Thema Metaverse und auch Markenherstellern bietet das Metaverse enormes Absatzpotential. Doch auch rechtlich, regulatorisch und gesellschaftlich müssen diese neuen Gestaltungsräume teilweise erst neu erschlossen werden. Räume im web3 stehen in Bezug auf Cyber-Kriminalität und Betrug aktuell eher etwas schutzloser und schadensanfälliger da als andere digitale Plattformen. So wittern auch Plagiatoren und Produktfälscher das Potential: Sie loten bereits aus, wo und wie sie das digitale Feld in dieser frühen Phase für sich gewinnbringend und gleichzeitig unentdeckt nutzen können.
Das Bewusstsein wächst
Das Konzept des web3 ist noch in der Entwicklung begriffen. Daher lässt sich nicht klar voraussehen, auf welche rechtlichen Veränderungen und Herausforderungen sich Unternehmen einstellen müssen. Dazu kommen die Herausforderungen, die sich aus KI-generierten Inhalten ergeben. Es besteht allerdings kein Zweifel daran, dass Hersteller die Sicherheit ihrer Marken sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt verteidigen müssen. Im vergangenen Jahr hat die Zahl der Markenanmeldungen durch die zunehmende Popularität des Metaversums und der NFTs für virtuelle Güter stark zugenommen[1]. Eine Suche in der Datenbank des EUIPO[2] zeigt, dass dort Hunderte von Markenanmeldungen anhängig sind, die Schutz für Produkte im Zusammenhang mit "NFTs", "Metaverse" und/oder "virtuelle Güter" beanspruchen.
Unternehmen sollten verschiedene Schritte erwägen, um ihre Marken im Web3 zu schützen. Vor allem sollten die Inhaber von geistigem Eigentum sich rechtlich beraten lassen, ob sie ihre Marken auch zum Beispiel für virtuelle Produkte und Dienstleistungen registrieren lassen sollten. Es ist gegebenenfalls auch ratsam, die Überwachung von Online-Umgebungen, insbesondere von NFT-Marktplätzen, auf Verstöße zu überwachen und die bestehenden Überwachungsdienste auf neue Nutzungsarten auszuweiten. Angesichts der Vielzahl der verschiedenen Plattformanbieter ist es mit erheblichem Aufwand verbunden, diese zu überwachen. Folglich sollten die Unternehmen im weiteren Verlauf der Entwicklung nicht nur ein separates Marketingbudget für das Web3 bereitstellen, sondern möglicherweise auch einen angemessenen Teil ihres juristischen Budgets.
Bildmaterial:
- BU: Um Plagiate vom Markt zu nehmen, bevor sie in den Handel gelangen, müssen alle Instanzen zusammenarbeiten.
Bildrechte: Christian Kinlechner / Polizei Frankfurt am Main
- BU: Auch NFT-Anbieter und Fashionbrands im web3 müssen sich um Markenschutz kümmern
Bildrechte: Midjourney | Simon Graff
[1] Wolters Kluwe: Into-the-metaverse-Trade-mark-protection-in-the-virtual-world-
Nicole Hofmann ist Expertin im Themenfeld Produkt- und Markenschutz. Sie unterstützt Unternehmen im Kampf gegen internationale Produktpiraterie und Markenmissbrauch im Internet. Die Tech-Unternehmerin und Gründerin aus Berlin spricht mit Verve über Potenziale des Deutschen Mittelstands und über Stolpersteine im E-Commerce und Social Selling.