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Fatale Tuchfühlung verhindern

Fatale Tuchfühlung verhindern

Wie Onlinehändler das hohe Marktvertrauen in OEKO-TEX® missbrauchen und was wir dagegen tun können

Ich gehe davon aus, dass alle Lesende schon mit OEKO-TEX® in Berührung gekommen sind – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Marke und ihre Labels stehen seit fast drei Jahrzehnten für Transparenz entlang der internationalen Lieferketten der Textil- und Lederindustrie. Sie schützt  Verbraucher und stellt Produktverantwortung sowie Vertrauen für alle Beteiligten in den Fokus. Aktuell arbeiten über 21.000 Hersteller, Marken und Händler in mehr als 100 Ländern offiziell mit der Gesellschaft zusammen und die Zahl der ausgestellten Labels und Zertifikate stieg im vergangenen Geschäftsjahr auf knapp 32.000. Ein wertvoller  Zusammenschluss für Transparenz und Verbraucherschutz! 

Ich habe an dieser Stelle bisher viel über Produktpiraterie und Plagiate geschrieben und dem Handel sowie den Herstellern leuchtet es ein, dass gefälschte Produkte minderwertiger Qualität die Wirtschaft im Ganzen und herstellende Unternehmen im Einzelnen nachhaltig schädigen. Was bei OEKO-TEX® geschieht, ist oft die leisere Form der Rechteverletzung. Über Verbrauchertäuschung und Brand Abuse möchte ich heute schreiben. Für den Text steht mir Georg Dieners zur Seite. Er setzt sich als Generalsekretär bei OEKO-TEX® für Verbraucheraufklärung und Transparenz ein.  

Wer in Green Fashion investiert, will keine Schadstoffe auf der Haut  

Zunächst gilt es, für sich selbst Kriterien zu definieren, die einem beim Kauf von Kleidung und anderen Textilien oder Lederwaren wichtig sind, rät Georg Dieners. Hier bietet die Gemeinschaft  eine umfassende Auswahl an Labels und Zertifizierungen für unterschiedliche Anforderungen. Am bekanntesten ist der STANDARD 100 by OEKO-TEX®. Er stellt sicher, dass alle Bestandteile des geprüften Artikels, also neben der textilen Fläche auch alle Fäden, Knöpfe und sonstige Accessoires, auf Schadstoffe geprüft wurden und der Artikel somit gesundheitlich unbedenklich ist. Neben diesem Standard, der sich auf sämtliche textile Artikel bezieht, zählt auch der LEATHER STANDARD by OEKO-TEX® zu den Produktlabels. Er bezieht sich auf Lederartikel aller Produktionsstufen inklusive verwendeter Zubehörmaterialien. Das Produktlabel MADE IN GREEN by OEKO-TEX® schließt die genannten Produktlabels ein und gewährleistet zusätzlich, dass das Textil- oder Lederprodukt mit nachhaltigen Prozessen unter sozialverträglichen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde. Dies erfolgt durch die Betriebsstätten-Zertifizierung nach STeP by OEKO-TEX®, also Sustainable Textile & Leather Production. Das Label MADE IN GREEN befindet sich auf dem Vormarsch, da es ganzheitliche Anforderungen abdeckt und Verbrauchende sowie Unternehmen zusätzlich Transparenz bietet: Anhand einer eindeutigen Produkt-ID lässt sich über den Labelcheck zurückverfolgen, in welchen Ländern und Produktionsbetrieben der gekennzeichnete Artikel produziert wurde. Um stets aktuelle Standards zu garantieren, aktualisiert das Team um Georg Dieners alle zugrundeliegenden Kriterienkataloge mindestens einmal jährlich und erweitert sie um wissenschaftliche Erkenntnisse oder gesetzliche Vorgaben.  Interessierte finden alle Kriterien auf   der Website.

Markenschutz geht alle an

Die besten Zertifizierungs- und Transparenzmaßnahmen scheitern, wenn sich Markenrechtsverletzungen online breitmachen und sich Plagiate sowie falsche Produktaussagen  immer schwerer erkennen lassen. Beides stellt kein Kavaliersdelikt dar: Die Herstellung und Verbreitung von Fälschungen verlaufen oft in Strukturen organisierten Verbrechens. Dies betrifft die gesamte Lieferkette von der Rohstoffbeschaffung bis zum Vertrieb, meist unter prekären Bedingungen für Mensch und Umwelt – mit wiederum qualitativen und gesundheitlichen Folgen für Endverbraucher:innen. Wer Produktkopien kauft, ob bewusst oder unbewusst, gefährdet dabei neben Menschenrechten und Klimaschutz auch die eigene Gesundheit. Das Thema wird durch den rasanten Anstieg des Online-Shoppings befeuert: Allein im letzten Jahr gaben Kunden weltweit etwa 2.900 Milliarden US-Dollar in Online-Shops aus. In Europa soll der digitale Umsatz bis 2025 um 42 % steigen. Je schneller und umfangreicher sich der Online-Handel jedoch entwickelt, desto dringlicher benötigen Menschen Schutz vor mangelhaften Produktqualitäten und falschen Aussagen. Denn auch wer Warnhinweise und Checklisten beachtet, ist nicht umfassend geschützt. Rechtlich liegt die Verantwortung, Fälschungen vom Markt fernzuhalten, tatsächlich beim Fabrikanten und Markeninhaber. Hier tritt OEKO-TEX® als Partner der Industrie auf und geht entschlossen gegen die zunehmende missbräuchliche Verwendung der Siegel und Zertifikate vor. Der gemeinsame Weg mit Sentryc seit März 2021: konstantes und globales Monitoring aller Online-Aktivitäten und Entfernung der Betrugsfälle von den entsprechenden Seiten.
Schadstoffe im Netz
Durch das internationale, gewachsene Netzwerk aller OEKO-TEX®-Partner bedeuten sowohl das Monitoring als auch das Enttarnen der Missbrauchsfälle ein gewaltiges Unterfangen. Dabei ist das Aufspüren von vorsätzlichem Betrug das eine, versehentlich falsch ausgezeichnete Produkte das andere. Beruhigend für Kund:innen hierbei: Selbst bei vorsätzlichem Betrug und ohne Überprüfung stellt keiner der potenziell vorhandenen Schadstoffe eine akute Gefahr

dar. Zumindest nicht in den Konzentrationen, in denen wir sie in Textilien oder Lederwaren selbst im schlimmsten Fall erwarten würden. Viele schaden jedoch durchaus der Gesundheit – manche nur bei länger anhaltendem Hautkontakt, andere können jedoch auch schon nach kurzzeitiger Hautberührung Reizungen hervorrufen oder Allergien auslösen. Genau diese schädlichen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt möchte OEKO-TEX® durch ihre Services vermeiden. Deshalb liegt es der Institution am Herzen, den Markenkern zu schützen und dadurch ihre Glaubwürdigkeit dauerhaft zu gewährleisten.

Produktschutz als gesellschaftliche Pflicht

Damit dies gelingt, durchsucht unsere Software zu jeder Tag- und Nachtzeit mehr als 160 internationale Online-Marktplätze und alle führenden sozialen Netzwerke. Auf Basis von Machine Learning kombiniert der Suchalgorithmus der Software relevante Schlagwörter, Detailbeschreibungen und Bilder, um potenzielle Verletzungen zu finden. Auch den Abgleich manipulierter Bilder, Fotos von Fälschungen oder Produkten und Logos sowie verdächtiger Verlinkungen und Hashtags decken wir automatisiert ab. Damit unterstützen wir OEKO-TEX® zusätzlich beim Schutz vor Markenmissbrauch und Urheberrechtsverletzungen auf diesen Plattformen. Mit einem Take-Down-Button entscheidet das Team selbstständig, welche potenziellen Fälschungen oder Markenrechtsverletzungen entfernt werden sollen. Im besten Fall verschwinden diese innerhalb von 24 Stunden. Automatisierungsregeln helfen dabei, dubiose Händler effektiv zu verbannen oder lizenzierte Partner gar nicht erst ins Visier zu nehmen. Für mögliche Strafverfolgungen dokumentiert die Software alle relevanten Daten inklusive Screenshots der verdächtigen Inhalte. Seit Beginn der Zusammenarbeit konnten wir durch unsere Software Missbrauchsfälle im mittleren vierstelligen Bereich aufdecken und lösen.

Partnerschaftliche Strategie für Markenschutz

Für Georg Dieners steht der partnerschaftliche Gedanke im Vordergrund – auch im  Markenschutz. Die meisten Verstöße finden wir in der Produktbeschreibung oder bei der optischen Darstellung der Siegel. „Den Händlern ist trotz eines ausführlichen Labelling Guides, den wir ihnen an die Hand geben, nicht immer klar, wie genau sie hier vorgehen müssen“, berichtet er mir. Deshalb stehen Aufklärung und Austausch an erster Stelle, um die für so wichtige Transparenz in der Darstellung zum Schutz der Endkosument:innen zu wahren. Häufig stellen sie die Label-Identifikationsnummern falsch dar – dies ist schnell behoben und die Kaufenden  können dies anhand eines Labelchecks auf der OEKO-TEX®-Website sogar jederzeit selbst überprüfen. Es kommt auch vor, dass Händler die Artikel als zertifiziert ausweisen, obwohl nicht das gesamte Produkt, sondern lediglich einzelne Bestandteile zertifiziert sind. In den Fällen eines absichtlichen Missbrauchs der Marke können sie dank Sentryc die entsprechenden Händler und Produkte innerhalb weniger Stunden sperren. Übersteigt der Verstoß ein tolerierbares Maß, behält sich das Unternehmen vor, rechtliche Schritte einzuleiten.

Und was bringt 2022?

Im Gespräch berichtet mir Georg Dieners, dass er eine zunehmende Sensibilisierung für Greenwashing wahrnimmt. Konsumierende validieren Marketingaussagen und Produktsiegel der Unternehmen mehr und mehr auf ihren Wahrheitsgehalt. Transparenz sei hierbei der entscheidende Faktor und so arbeitet OEKO-TEX®  schon an weiteren Maßnahmen, um den Konsumentinnen und Konsumenten die für ihre Kaufentscheidungen so wichtige Validierung zu erleichtern. Wir sind auch in diesem Jahr gerne mit dabei!

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Nicole Hofmann
Nicole HofmannGründerin Sentryc GmbHDiese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Liebe Frau Lacroix, wer mit Ihnen zum Thema Produktfälschungen im Austausch steht, spürt Ihr Engagement. Haben Sie den Eindruck, dass Sie aus der deutschen Wirtschaft und vom Handel ausreichend Zustimmung und Unterstützung erhalten?      

Die Teilnehmer des Wettbewerbs sind immer wieder positiv überrascht über die enorme Reichweite in den Medien und die abschreckende Wirkung unseres Negativpreises auf die Nachahmer. Zahlreiche Nachahmer haben bereits aus Angst vor der Prämierung mit dem „Plagiarius“ eine Einigung mit dem Originalhersteller gesucht und beispielsweise Restbestände der Plagiate vom Markt genommen, Unterlassungserklärungen unterschrieben oder ihre Lieferanten offengelegt. Das freut uns natürlich sehr. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn wir mehr finanzielle Unterstützung aus der Industrie hätten, zum Beispiel in Form von Fördermitgliedschaften.

Nicole Hofmann ist Expertin im Themenfeld Produkt- und Markenschutz. Sie unterstützt Unternehmen im Kampf gegen internationale Produktpiraterie und Markenmissbrauch im Internet. Die Tech-Unternehmerin und Gründerin aus Berlin spricht mit Verve über Potenziale des Deutschen Mittelstands und über Stolpersteine im E-Commerce und Social Selling.