Wie ich ins Web 3.0 eintauchte und die Chancen und Tücken neuer virtueller Welten fand
Seit Neal Stephenson in seinem Roman Snow Crash den Begriff des Metaversums in den 90er Jahren populär machte, schwirrt dieser nun als wiederkehrendes Buzzword durch den digitalen und analogen Raum. Dabei ist die Idee davon, was das Metaverse konkret ist und wie es für jeden zugänglich wird, für viele immer noch diffus, während andere bereits den Versuch wagen, auf relativ unbekannten Gewässern virtueller Welten zu navigieren. Metaverse – das meint eben jenen Raum, der Virtualität und analoge Realität miteinander verschwimmen lässt und als Symbiose neue Wirkplätze möglich macht.
Beinahe täglich befasse ich mich beruflich und persönlich mit den vielen Facetten von Fälschung, Ideenklau und Raubkopie. Dabei sind NFTs, Blockchains und Kryptowährungen kein Neuland für mich. Und dennoch, da wir uns auf die nächste Stufe des digitalen Zeitalters in Form des Web 3.0 zubewegen, möchte ich einmal genau hinschauen und habe Simon Graff getroffen. Als First Mover, der früh die Potenziale des Metaverse erkannte, weiß er genau, was hinter dem Begriff steckt, wie das Internet der Zukunft aussehen kann und welche Gefahren in puncto Produktfälschungen und Urheberrechtsverletzungen drohen.
Für meine aktuellste Kolumne habe ich mich mit Simon Graff ausgetauscht. Graff ist Creative Technologist, digitaler Vollzeit-Nerd im allerbesten Sinne und Metaverse Experte. Mit der von ihm gegründeten Beratungsagentur FOR REAL?! nimmt er Kund:innen, Unternehmen und Marken mit auf eine spannende Reise in neue virtuelle Welten und klärt dabei auf und berät. Doch Simon Graff weiß auch, wo viele Potenziale für Konstruktives liegen, stecken auch viele neue Herausforderungen für Unternehmen, wie sich am Beispiel der Fakes im Metaverse zeigen lässt.
Nicole Hofmann (NH): Dieser Tage wird bei kaum einem Thema so leidenschaftlich die Polarität der Haltung gegenüber einer Sache deutlich, wie in der Causa Metaverse. Viele begreifen es als Chance, andere sehen vorrangig Gefahren. Mich würde interessieren, wie Sie sich diesbezüglich verordnen würden, Herr Graff?
Simon Graff (SG): Am liebsten ganz mutig neutral. Man kann das Metaverse als Konglomerat an verschiedenen Technologien und Trends begreifen, die teilweise schon vertraut sind, nur eben nicht in exakt dieser Form oder in dieser Anordnung. Letztlich bemerken wir rasch, dass der Begriff viel weniger zauberhaft ist und stark entmystifiziert wird, denn wir kennen solche Welten in Teilen schon: In Games wie World of Warcraft, Fortnite, Roblox und vielen mehr erleben wir solche Mini-Metaversen bereits. Diese sind übrigens Stand heute gar nicht mehr so klein, wer allein ihre „Bevölkerungsdichte“ betrachtet. Zudem gab es solche alternativen virtuellen Welten zum Teil lange vor dem großen Hype.
Diese und weitere Welten des Metaverse werden genauso schadensanfällig und zum Teil schutzlos sein, wie unsere physisch-analoge Realität. Cyber-Kriminalität ist nichts Neues und wird bereits da ausgelebt, wo virtuelle Räume eine neue Fläche für digitale Produkte, Ideen, Brands und Dienstleistungen ermöglichen.
NH: Ich würde so weit gehen und sagen, wenn es keine klaren Regeln und Verhaltensweisen für das Metaverse gibt, ist beinahe automatisch davon auszugehen, dass weitere kriminelle Machenschaften drohen. Daher braucht es vor allem einheitliche Internet Policies und Sicherheitsmechanismen. Dennoch, das Image des Metaverse erscheint derzeit durchaus positiv. Warum fasziniert dieser Begriff heute so viele in diesem Maße?
SG: Nahezu alle großen Tech-Unternehmen der Welt arbeiten bereits an ihren eigenen Lösungen zum Thema Metaverse. Das ruft auch namhafte Unternehmen anderer Branchen auf den Plan, wie z.B. die Fashion-Industrie mit Nike, Gucci und Dolce & Gabbana zeigt, die hier das Potenzial in puncto Produkt- und Markensichtbarkeit erkennen. Das Metaverse allein ist dabei aber gar nicht so neu und sicherlich kein Heilsbringer allein. Für mich stellt sich die Frage, wie wir den Menschen und die ihn begleitende Technologie in 20-30 Jahren sehen wollen. Ganz klassisch mit unserem Smartphone allein? Vermutlich nicht! Daher sind neue der Globalisierung, Technisierung und Liberalisierung geschuldeten Innovationen nur folgerichtig und entsprechen einem modernen tech-bewussten Zeitgeist. Das Metaverse sollte dabei aber als nächste Iteration des Internets verstanden werden und als solches ist es nicht mehr und auch nicht weniger.
NH: Die von Ihnen angesprochene Entwicklung der Unternehmen, die das Metaverse für sich erschließen, erleben wir bei Sentryc tagtäglich. Allerdings sind es nicht nur rechtschaffene Unternehmen, die die stark wachsende Reichweite für sich nutzen wollen. Über meine Arbeit stoße ich immer wieder auf Fälle von Verletzungen geistigen Eigentums im Web 3.0, insbesondere auch in Verbindung mit NFTs (Non-Fungible Tokens), die bestimmte Gegenstände auf der Blockchain repräsentieren.
SG: Das klingt spannend. Mich würde interessieren, wie Sie dabei vorgehen, diese Form der digitalen Straftaten und Urheberrechtsverletzungen sichtbar zu machen. Denn in meiner beratenden Tätigkeit stoße ich häufiger auf Menschen und Unternehmer:innen, die am Phänomen Metaverse grundsätzlich interessiert sind, aber für die die Unwägbarkeiten, Sicherheitslücken und allgemeinen Fragezeichen letztlich auch die Punkte darstellen, die zu einem zögerlichen Handeln führen. Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Sorgen ein Stück weit beseitigen zu können.
NH: Wir schauen uns konkret die Inhalte an, die auf Marktplätzen angeboten werden und tracken dabei mit Hilfe unserer Software, all die Produkte und Einträge, die wir als zweifelhaft, fehlerhaft oder potentiell nicht rechtskonform einstufen können. Dabei geben wir den Markeninhaber:innen mit unserer Software eine Möglichkeit die Plattformbetreiber:innen darauf hinzuweisen, dass hier eine Löschung des unrechtmäßigen Produktes stattfinden muss. Im aktuellen Web 2.0 ist so eine Löschung verhältnismäßig einfach und konsequent. Wir erkennen aber bereits heute, dass in einem neuen Web 3.0 derartige Vorgänge nicht ganz so leicht vonstattengehen werden. Mechanismen wie z.B. die Blockchain erschweren solche Prozesse. Was eigentlich als gute Idee in puncto Urheberrechtssicherheit wirken soll, macht es schwer, nachhaltige Löschungen vorzunehmen, wenn Produkte erst einmal als Eintrag auf einer Chain verankert sind. Hier lassen sich die Informationen zwar nicht mehr von der Blockchain löschen, zumindest aber durch das sogennante Burnen der Tokens nachhaltig aus dem Umlauf entfernen.
SG: Ich habe ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. 2021 wurden zahlreiche Künstler:innen Opfer von digitalen Raubkopien und Produktfälschungen. Als NFTs wurden etliche Kunstobjekte digital über falsche Eigentümer:innen angeboten. Etwa 80% aller über die dezentralisierte Plattform OpenSea angebotenen Produkte waren illegal. Über die Blockchain-Technologie und einer grundsätzlich eineindeutig wenn auch kompliziert zuzuordnenden ID-Wallet konnten letztlich aber immer wieder Fälschungen gesichtet und der so begangene digitale Missbrauch konkreten Straftäter:innen zugeschrieben werden. Diese und andere Unrechtsgeschäfte haben das Eingreifen der Plattformbetreiber:innen erforderlich gemacht. Der in erster Linie als Kunstplattform bekannte kommerzielle Onlinedienst DeviantArt beispielsweise verfolgt den illegalen Raubkopienhandel auf der Plattform mittels eigens entwickelten Webcrawlern, um Fälschungen zu erkennen und aufzudecken.
NH: Ein hilfreicher Aspekt ist ebenfalls, dass ein großer Teil des Web 3.0 auf Infrastruktur des Web 2.0 beruht. So sind zwar NFTs auf der Blockchain gespeichert, allerdings häufig nur in Form eines Links, der auf einen zentralen Server führt, auf dem dann die eigentliche Bilddatei gespeichert wird. Hier kann die rechtliche Nachverfolgung einfacher als im dezentralen Web 3.0 durchgeführt werden.
SG: Dem kann ich nur zustimmen. NFTs stellen einen komplizierten Sachverhalt dar und sind meines Erachtens oft noch mehr Wunsch als Wirklichkeit. Denn die Monetarisierung von z.B. Kunst ist kein Metaverse-Spezifikum und findet auch im Web 2.0 statt. Am Beispiel der Plagiatsfälle über OpenSea wird ein viel gravierenderes Problem deutlich. Das Absicherungsverfahren mittels Blockchain stellt für viele Künstler:innen aufgrund der hohen Minting-Kosten aktuell noch ein zu großes Minusgeschäft dar. Minting bezeichnet hier den kostspieligen Prozess, mit dem neue Tokens für ein Blockchain-Netzwerk geschaffen werden. Oft übersteigen bereits die Minting-Kosten den Wert dessen, was der Verkauf eines Werks einbrächte. Was unter anderem zu Absicherungszwecken bei digitalen Transaktionsgeschäften dienen soll, stellt für viele also eine Art zweischneidiges Schwert dar. Denn viele Anwender:innen wollen nicht, dass ihre Daten, Medien und Produkte für alle Zeit und von einer Löschung ausgeschlossen auf einer Chain verweilen.
NH: Da schließt sich die Frage an, wie die nächste Stufe des Internets, eines sogenannten Web 3.0, nachhaltig sicherer gemacht werden kann, denn eines ist derzeit klar: es gibt noch keinen vollständigen und allgemeingültigen Regel-, Rechts- und Richtlinienkodex. Und selbst die ersten Versuche in Form von sogenannten Smart Contracts sind fraglich. Smart Contracts sind im Grunde komplizierte Programmiercodes, die es den Käufer:innen erschweren, die genauen Inhalte des Vertrags direkt zu erschließen. Diese Contracts sind jedoch stark an die Blockchain-Technologie zur Verschlüsselung angelegt und damit grundsätzlich auch für jede Person einsehbar. Stand heute also noch kein vollständiges und transparentes Sicherungselement.
SG: Und dennoch finden auf vielen dezentralisierten Plattformen auch heute schon immer stärkere Formen der Selbstregulierung statt, um das Sicherheitsgefühl bei Nutzer:innen und Künstler:innen zu steigern, auch, wenn das nicht vollständig transparent ist und keine lupenreine Sicherheit darstellen kann, so ist das ein erster guter Schritt der Plattform-Betreiber:innen.
NH: Das führt uns zu folgendem Punkt: da wir wissen, dass geltendes Recht eine zumeist lokale Sache ist, werden wir demnach auch mehr Technologie und den Ausbau der kontrollierten und transparenten Überwachung brauchen, um das Recht der Zukunft zu definieren?
Definitiv! Ein wesentlicher Schritt wird sein, weitere Vertrauensstandards zu schaffen und die Sicherungsmechanismen vollumfänglich und transparent aufzubauen, denn genau das ist, was die Nutzer:innen eines Web 3.0 einfordern werden. Unrechtmäßig erworbener Kryptoreichtum oder unrechtmäßige Handelsgeschäfte, wie wir sie in jüngster Zeit erleben, wecken das Interesse derer, die um die sichere Nutzung des Internets der Zukunft besorgt sind. Demnach wird das Etablieren von Instanzen, die die Schwachstellen des neuen Internets überprüfen, überwachen und sichern eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein. Hier muss eine enge Verknüpfung mit dem lokalen und aber auch internationalen Rechtssprechungsapparat stattfinden. Glücklicherweise haben wir heute schon sehr viele gute Mittel und Wege, immer wieder solche Unrechtsgeschäfte aufzudecken, jedoch ist da noch viel Luft nach oben.
Nicole Hofmann ist Expertin im Themenfeld Produkt- und Markenschutz. Sie unterstützt Unternehmen im Kampf gegen internationale Produktpiraterie und Markenmissbrauch im Internet. Die Tech-Unternehmerin und Gründerin aus Berlin spricht mit Verve über Potenziale des Deutschen Mittelstands und über Stolpersteine im E-Commerce und Social Selling.