Wankelmütige Historie
Gestartet mit einem gigantischen Hype und vermarktet als das neue Must-Have für Technikliebhaber*innen, folgte schnell der tiefe Fall der ersten massentauglich produzierten „smart glasses“ von google im Jahr 2014. Sie galten als zu teuer, datenschutzrechtliche Bedenken häuften sich, und Träger:innen der Brille wurden sogar als „glassholes“ beschimpft und teilweise angegriffen. So schnell sie kam, wurde sie auch wieder vom Markt genommen. Auch smart glasses von anderen Anbieter:innen wie beispielsweise Snapchat konnten sich bislang nicht durchsetzen.
Ein paar Jahre später starten Technologiekonzerne aber einen neuen Anlauf: So stellte Xiaomi Ende vergangenen Jahres seine AR-Brille vor, die mit ihrem MicroLED-Display Informationen anzeigen lassen und als Kamera benutzt werden kann. Noch ist sie aber nur ein Konzept und kein kauffähiges Produkt. Neben Apple gibt es auch Anzeichen, dass Google wieder an einer neuen Version seiner smart glasses arbeitet. Schon raus aus der Planungsphase ist Meta. Vergangenen September stellte die Firma zusammen mit Ray-Ban ihre intelligenten Brillen vor, die „die ersten wirklich modischen smart glasses“ werden sollen. Sie gleichen einer gewöhnlichen Brille, lediglich die Bügel sind dezent breiter. Mithilfe von Mikrofonen, Lautsprechern, einem Touch-Panel und einer Kamera soll die Brille die Massen begeistern. Dabei hilft auch der relativ niedrige Preis von 299 Dollar. In Zukunft sollen die smart glasses nicht nur Gadgets im Alltag sein, sondern auch in Läden und in der Produktion eingesetzt werden. Doch ist die gesellschaftliche Akzeptanz inzwischen gewachsen? Welche Vorteile bieten die Brillen nicht nur Menschen im Alltag, sondern auch Unternehmen und insbesondere dem Handel?
Einkaufserlebnis besonderer Art im Handel
Getreu dem Leitmotto „Erlebnisraum Handel“ können smart glasses am Point of Sale ein besonderes Einkaufserlebnis schaffen: Kaum ist das Produkt gescannt, können zusätzliche Informationen angezeigt, Videos abgespielt und ergänzende Artikel vorgeschlagen werden. Die intensive audiovisuelle Erfahrung erhöht den Einkaufsspaß. Durch angezeigte Bewertungen und die Möglichkeit der Beratung vor Ort können die Vorteile des digitalen Handels mit denen des stationären verbunden werden. In größeren Geschäften erleichtern die Brillen durch eingebaute Karten zudem die Orientierung. Außerdem wird ortsabhängiges Marketing ermöglicht: Bewegen sich Kund:innen inmitten eines bestimmten Radius, erkennt dies die Brille und Push-Nachrichten mit bspw. Gutscheinen können zum Besuch des nahgelegenen Ladens verleiten.
Doch auch für den E-Commerce eröffnen sich neue Möglichkeiten: Dadurch, dass die räumliche Umgebung leicht gescannt werden kann, können Kund:innen direkt auf den Onlineshop weitergeleitet werden, wenn ihnen ein Produkt im Alltag gefällt. Vorbei sind die Zeiten von riesigen Werbetafeln, nun werben die Artikel für sich selbst! Beim Online-Shopping selbst lässt sich direkt sehen, wie sich Möbel im Zimmer einfügen oder wie Kleidung an einem selbst aussieht. Individuelle Store Apps ermöglichen außerdem den virtuellen Besuch eines Ladens.
Smarte Unterstützung hinter den Kulissen
Nicht nur beim Verkauf von Waren, auch für die Kommission und Logistik können smart glasses im Handel eingesetzt werden. Außendienstmitarbeitende müssen bei Besuchen in Geschäften die Platzierung ihrer Produkte im Regal, eventuelles Mangel- oder Überschussangebot sowie Informationen zu Wettbewerbsprodukten ihres Artikels schnell erkennen. Dies ist aufgrund des mitgeführten Laptops und unterschiedlichen Sortierreihenfolge oft recht umständlich. Mit smart glasses können die Produkte nicht nur schnell erfasst werden, durch Kopfbewegungen oder Spracheingaben können auch Änderungen effizient in das System eingefügt und später leichter visualisiert werden (https://www.reply.com/4brands-reply/de/content/smart-glasses-im-einsatz-effiziente-erfassung-bei-der-regalerhebung-am-point-of-sale-mit-datenbrille).
Im Lager ist es ebenfalls ein Vorteil, wenn man seine Hände frei hat und sämtliche Informationen zur Lage und Art des gewünschten Produktes direkt im Blickfeld hat. Mit dem Ziel, Kommissionsprozesse effektiver zu gestalten, führte DHL 2017 nach diversen Pilotprojekten die „Vision Picking“-Lösung ein. Hierbei zeigen die Datenbrillen Arbeitsanweisungen und Hinweise für die Kommissionierung an, wodurch die Produktivität der Arbeiter*innen um bis zu 15 % gesteigert werden soll. Zudem soll der Zeitaufwand für Einarbeitung und Training neuer Mitarbeiter*innen um die Hälfte reduziert werden, da die smart glasses Selbsthilfe leichter ermöglichen.
Ungewisse Zukunft
Für den Einsatz im Lager liegt es an Händler:innen, zu beurteilen, ob sich die smart glasses für ihr Unternehmen lohnen. Für den Einsatz im Geschäft sind sie aber abhängig von der Akzeptanz der Konsument:innen. Noch immer hegen viele Menschen erhebliches Misstrauen gegenüber den Brillen. Dadurch, dass die smart glasses zunehmend gewöhnlichen Brillen ähneln und man Aktionen wie die Ton- oder Filmaufnahme von außen nur schwer erkennen kann, könnte diese Abneigung verstärkt werden. Zudem gibt es Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Brillen. Noch sind sie recht teuer, haben eine kurze Akkulaufzeit, und die meisten alltäglichen Funktionen wie das Scannen von Produkten oder die Orientierungshilfe können problemlos vom Smartphone übernommen werden.
Daten darüber wie sich die Beliebtheit der Datenbrillen entwickeln wird, gibt es derzeit nur wenige. Von 0,17 Millionen verkauften AR glasses im Jahr 2019 sollen die Verkaufszahlen aber auf 3, 9 Millionen steigen (wohlgemerkt weltweit. Es ist also immer noch weit entfernt von einem Massengeschäft. Händler:innen könnten aber diese Chance nutzen und mit dem gezielten Bereitstellen von smart glasses auf sich aufmerksam machen. Bis Kund:innen ihre eigenen Brillen in den Laden mitnehmen oder zum Online-Shopping nutzen, ist es noch ein weiter Weg – vielleicht könnten solche Angebote im Handel aber den Anschwung liefern. Der Trend bleibt abzuwarten und zu beobachten.