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Fakes am deutschen Markt: So groß ist die Belastung 2022

Vor der heißen Konsumphase des Jahres möchte ich mich mit einer kurzen Bestandsaufnahme zurückmelden. Produktfälscher kommen in Fahrt: In den Monaten September, Oktober und November steigen die Rechtsstreitigkeiten zum Thema Fälschung um 60 Prozent an. Doch wie stark sind Brands und Produkte made in Germany davon betroffen und wie trifft das Thema Plagiate aktuell den Handel?

Um dem nachzugehen und das Resultat an handfesten Zahlen festzumachen, befragten wir 547 Entscheidungstragende unterschiedlicher Branchen in einer qualitativen Umfrage nach ihrer aktuellen Fälschungssituation. 112 von ihnen, also 20,48 Prozent, waren in den letzten fünf Jahren direkt von Produkt- und/oder Markenpiraterie betroffen und qualifizierten sich so für die weitere Erhebung. Abgesehen vom leicht größeren Anteil von B2C-Unternehmen in dieser Umfrage, eint sämtliche Teilnehmende ihr Online-Produktvertrieb: Alle Unternehmen bieten ihre Artikel auf digitalem Weg zum Verkauf an – und erhöhen neben ihrer Absatzmöglichkeit auch die Gefahr Nachahmer zu finden.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie

  • Die Umfrageteilnehmenden bewerten die Gefahr durch Plagiate für die deutsche Wirtschaft mit 4,96 auf einer Skala von 1 bis 6.
  • Nur 37,5 Prozent sichern ihre Marken und Produkte in China, dabei findet 55,4 Prozent des Vertriebs der Plagiate in China statt.
  • 44,6 Prozent der Befragten finden die meisten Fakes im direkten Wettbewerb.
  • Der jährliche Schaden durch Fälschungen liegt bei den befragten Unternehmen zwischen 1 Million bis 50 Millionen Euro.
  • 65,2 Prozent bestätigen, dass bereits Kopien ihrer Produkte im Umlauf waren, von denen ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Nutzende ausging. Knapp 40 Prozent entdeckten Fälschungen, deren Erzeugung oder Vertrieb eine Gefahr für die Umwelt darstellt.
  • Den größten Teil der gefundenen Fakes entdecken Unternehmen durch aktiven Einsatz von Markenschutz-Software.

Viele Betroffene
Die Dringlichkeit, aktiv gegen Fakes vorzugehen, zeigt die Schädigung der Umfrageteilnehmenden: 20,48 Prozent aller befragten Personen waren mit ihren Unternehmen in den letzten fünf Jahren von Produkt- und/oder Markenpiraterie betroffen, und zwar auf unterschiedlichen Vertriebswegen. Die Mehrfachantworten der Betroffenen zeigen, welche Art der Fälschung zumeist vorliegt. So berichten 54,5 Prozent von Markenpiraterie, 47,3 Prozent von unlauterem Nachbau und 46,4 Prozent von Patentverletzungen. Alle weiteren Ergebnisse beziehen sich auf diese von Produktpiraterie betroffene Personen- und Unternehmensgruppe.

50 Prozent der Kriminellen kopierten in den vorliegenden Fällen das äußere Erscheinungsbild, 43,75 Prozent Komponenten und 40,18 Prozent das gesamte Produkt. Doch auch Ersatzteile mit 31,25 Prozent und Werbematerialien mit 26,79 Prozent gehören zu den Plagiatoren-Favoriten. Selbst Verpackungen sind mit 21,43 Prozent vor Nachahmung nicht gefeit. So ist es selbst für Händler schwer auf einen Blick festzustellen, ob die gelieferte Ware eine Kopie ist, wenn sogar die das Drumherum zum Originalauftritt passt.

Image und Pandemie
Für 54,5 Prozent der Entscheider und Entscheiderinnen der Brands und Hersteller zahlt die Marke und ihr Image am meisten auf den Unternehmenserfolg ein – umso höher die Angst vor Missbrauch mit wirtschaftlichen Folgen: Auf einer Skala von 1 bis 6 bewerten die Befragten die grundsätzliche Gefahr durch Plagiate für die deutsche Wirtschaft mit einer Punktzahl von 4,96. Die Gefahr für die eigene Branche stufen sie auf 4,66 ein. Händler und Händlerinnen sollten deshalb genau darauf achten, woher sie ihre Ware beziehen.

67 Prozent sehen eine Zunahme der Schädigungen durch Fälschungen in der eigenen Branche seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020. Nur die Hälfte der Befragten bewerten die Effektivität der derzeitigen Gesetze und Bestimmungen in Deutschland und der EU zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie als ausreichend.

Wer steckt hinter den Plagiaten?
44,6 Prozent gaben an, dass die meisten Plagiate aus dem direkten Wettbewerb stammen – ein Nice-to-know für alle Anbietenden. Der Innovationsdruck scheint Marktkonkurrenten zu unethischen Mitteln zu treiben. Den zweiten Platz nehmen Underground Factories mit 31,3 Prozent ein. Im Business-Bereich plagiieren auch Kunden ihre benötigte Ware – 36,8 Prozent aller gefragten Unternehmen gaben an, ihre Abnehmerschaft als Produktpiraten identifiziert zu haben.

Schaden
Der durch Fälschungen verursachte Schaden für herstellende und entwickelnde Unternehmen fällt in den meisten Fällen äußerst hoch aus: 24,1 Prozent geben an, einen jährlichen Schaden von 1 Million bis 50 Millionen Euro zu verbuchen. 23,2 Prozent nannten einen Schaden von 500.000 bis 1 Million pro Jahr und 21,4 Prozent der Befragten rechnen aktuell mit 100.000 bis 500.000 Euro Verlust durch Fakes. Zu klären bleibt der entgangene Gewinn für den Handel durch Fakes.

Neben den wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen sorgen sich 60,7 Prozent der Betroffenen um die Gefahren für Konsumierende. 65,2 Prozent bestätigen, dass bereits Kopien ihrer Produkte im Umlauf waren, von denen ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Nutzende ausging. Knapp 40 Prozent geben außerdem an, Fälschungen entdeckt zu haben, deren Erzeugung oder Vertrieb eine Gefahr für die Umwelt darstellt. „Produktfälschungen sind für viele Unternehmen mehr als nur ein Ärgernis“, weiß auch Stefanie Stadie, Referentin für Umweltpolitik beim Handelsverband Deutschland. „Nicht nur, dass ihnen durch Plagiate Umsatz entgeht, vielfach führt die minderwertige Qualität der Fälschungen zu einem Imageproblem der Marke, das das Unternehmen nicht selbst verschuldet hat. Das hat zum Ergebnis, dass Online-Marktplätze gemieden werden, um sicherzugehen, dass die Produkte nur in den eigenen Shops gekauft werden können. Daraus ergeben sich Nachteile für den E-Commerce und eine Schwächung des Handels. Gerade in den aktuell wirtschaftlich angespannten Zeiten ist jede zusätzliche Beeinträchtigung kontraproduktiv, wenn es darum geht, sich von den Auswirkungen der Krisen zu erholen. Im Sinne der Verbraucher:innen sprechen wir uns daher ganz klar für Originalprodukte aus. Auch unter Nachhaltigkeitsaspekten sind diese Produkte zu bevorzugen: In puncto Langlebigkeit, Qualität und Wertigkeit sind die Vorteile klar.“

Online als Hauptumschlagpunkt
Die Teilnehmenden gaben an, dass der größte Teil des Fake-Vertriebs auf Onlinemarktplätzen stattfindet. Auch wilde Websites, also weder zu einem Markplatz noch zu einem Unternehmen gehörende Onlineshops, arten zum Problem aus und belegen den zweiten Platz. Social Media verschaffen vielen Plagiatoren mittlerweile ebenfalls einen großen Absatzmarkt. Die Gefahr im stationären Handel bewerten Produzenten mit einer Durchschnittsbewertung von 2,46 auf einer Skala von 0 bis 3,5 trotz Platz 4 dennoch ziemlich hoch.

33,9 Prozent der Fakes und damit den größten Teil der gefundenen Fälschungen entdecken Unternehmen durch aktiven Einsatz von Markenschutz-Software. Dicht gefolgt von der aufwendigen manuellen Recherche mit 29,5 Prozent, die in über 75 Prozent interne Mitarbeitende durchführen. Allerdings werden immer noch 25 Prozent der unlauteren Kopien zufällig von Kundinnen und Kunden gefunden, die dem Unternehmen Bescheid geben. Ein zu hoher Anteil, der ebenfalls zu Reputationsverlust führt – sowohl für das herstellende Unternehmen als auch für den POS.

Fazit
Über 10 Prozent der Betroffenen gehen trotz horrenden Verlusten durch Fälschungen noch nicht aktiv gegen diese vor. Als häufigsten Grund für das Nicht-aktiv-Werden geben die Befragten den hohen Aufwand an. Sie leiten den Großteil der Plagiatsfälle an die eigene Rechtsabteilung weiter oder erstatten Strafanzeige, doch dann ist die Kopie bereits lange auf dem Markt. Dennoch: 61,5 Prozent gingen in der Vergangenheit gar nicht gegen Kopien und Produktpiraten vor – heute treten über 88 Prozent für ihre Rechte ein. Die Ergebnisse der Studie zeigen ein gewaltiges Umdenken in den Leitungen deutscher Unternehmen, sowohl in der Überprüfung der Marktsituation als auch in der Nachverfolgung und in der Durchsetzung der Produkt- und Markenrechte. Produktfälschungen und Brand Abuse rücken deutlicher in den Fokus, was Wirtschaftlichkeit und Verantwortung angeht – den Kunden, der Gesellschaft und der Umwelt gegenüber.

Für den Handel bedeuten erhöhte Wachsamkeit und verstärkte Kontrollen  des Fälschungsmarktes durch Herstellerunternehmen  eine große Erleichterung – denn nur Rechteinhabende können aktiv gegen Fakes und ihre kriminellen Produzenten vorgehen. Dem Einzelhandel  sind hier leider die Hände gebunden. Das Beste, was Händler:innen tun können: Dem Originalunternehmen Bescheid geben und sie auf das Angebot verweisen. Vorhandene Technologie in entsprechenden Online-Tools ermöglicht Rechteinhabenden diese Angebote aus dem Internet zu verbannen und die Straftäter sofort auf eine Blocklist zu setzen, damit sie ihre teils gefährlichen Imitate nicht erneut zum Verkauf platzieren können. So steht auch der stationäre Handel auf der sicheren Seite.

Nicole Hofmann
Nicole HofmannGründerin Sentryc GmbHnicole.hofmann@sentryc.com

Nicole Hofmann ist Expertin im Themenfeld Produkt- und Markenschutz. Sie unterstützt Unternehmen im Kampf gegen internationale Produktpiraterie und Markenmissbrauch im Internet. Die Tech-Unternehmerin und Gründerin aus Berlin spricht mit Verve über Potenziale des Deutschen Mittelstands und über Stolpersteine im E-Commerce und Social Selling.