Wettbewerbsfaktor KI
Von Genevieve Broadhead, Global Lead Retail Solutions, MongoDB
Inflation, volatile Lieferketten, steigende Kundenansprüche und ein verschärfter Wettbewerb im E-Commerce stellen den deutschen Einzelhandel 2025 vor große Herausforderungen. Gleichzeitig wächst der Druck, sich von der Konkurrenz abzuheben – nicht nur durch Preisgestaltung oder Sortimentsbreite, sondern auch durch kluge, datenbasierte Entscheidungen in Echtzeit. KI und moderne Dateninfrastrukturen versprechen in diesem Zusammenhang mehr als nur Effizienzgewinne: Sie verändern das Geschäft grundlegend. Ein Blick auf Best Practices aus Deutschland und Europa zeigt, wie KI im Handel schon heute Mehrwerte schafft – von der automatisierten Bestandssteuerung bis zur personalisierten Kundenansprache.
Personalisierung im Omnichannel-Handel ist heute mehr als ein „nice to have“. Kunden erwarten, dass Händler ihre Bedürfnisse kennen und maßgeschneiderte Angebote machen – kanalübergreifend, in Echtzeit, kontextbasiert. IT-Abteilungen müssen ihrerseits die Voraussetzungen dafür liefern. So setzt etwa die deutsche Drogeriekette dm bereits seit Jahren auf ein zentrales Kundenbindungssystem („Mein dm“), das durch die KI-gestützte Analyse von Einkaufsverhalten und Präferenzen individualisierte Coupons und Produktempfehlungen ausspielt. Entscheidend dabei: Die zugrunde liegenden Datenstrukturen müssen flexibel und in Echtzeit abrufbar sein.
Diesen Anspruch können viele Legacy-Systeme im deutschen Einzelhandel heute noch nicht erfüllen. Viele Handelsunternehmen verfügen über große Datenmengen. Oft liegen diese aber in Silos, sind schwer zugänglich, zu statisch, oder es gibt keine Lösungen, die die datenschutzkonforme Verarbeitung ermöglichen. Ohne moderne, flexible Datenplattformen ist eine KI-gestützte Personalisierung kaum umsetzbar, ihre Einsatzmöglichkeiten im Handel sind dagegen umso vielseitiger.
Generative KI im Kundendialog: Persönliche Beratung erwünscht
Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) wie GPT ermöglichen neue Formen der Interaktion mit Kunden: dynamisch, dialogisch, kontextsensitiv. So kann beispielsweise ein Modehändler mit Hilfe von generativer KI nicht nur automatisiert Rückfragen zu Bestellungen beantworten, sondern dem Kunden auch auf Basis vergangener Käufe und Wetterdaten in seiner Region ein passendes Outfit für das kommende Wochenende vorschlagen – inklusive Größenverfügbarkeit in der nächstgelegenen Filiale.
Auf diese Weise entstehen intelligente Assistenzsysteme, die auf Live-Daten zugreifen und sich von jedem Gespräch „merken“, was für den Kunden relevant ist. Das schafft ein nahtloses, personalisiertes Erlebnis, das durchaus mit der Interaktion mit einem Fachverkäufer vor Ort vergleichbar ist.
Lieferketten-Optimierung in Echtzeit: Von Nachbestellung bis Frische-Tracking
Auch in der Frischelogistik oder bei der saisonalen Sortimentssteuerung ist der Zugriff auf aktuelle Datenströme entscheidend, um kontextbezogen und dadurch effizient zu wirtschaften. Lidl Deutschland etwa setzt auf eine automatisierte Dispositionslösung, die Verkaufszahlen, Lagerbestände und externe Parameter wie Wetterdaten berücksichtigt. Mithilfe moderner Datenplattformen wird so in Echtzeit entschieden, wann wo nachbestellt wird. Das erhöht nicht nur die Verfügbarkeit, sondern reduziert auch Verschwendung und Abschreibungen, weil beispielsweise Kühlwaren nicht rechtzeitig verkauft werden.
Die britische Supermarkt-Kette Waitrose wiederum nutzt KI-basierte Kameras zur Überwachung von Regallücken. Dieser Ansatz dürfte auch in Deutschland mit seiner umfassenden Convenience- und Biomarktlandschaf, wo Frischeprodukte über Margen entscheiden, zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Neue Rolle der Preisgestaltung: KI als dynamischer Preisbildungsassistent
Vor dem Hintergrund der je nach Produkt erheblichen Teuerungen der vergangenen drei Jahre wird die Preisgestaltung für immer mehr Konsumenten zum Loyalitätsfaktor. Immer mehr Menschen passen ihr Einkaufsverhalten an und kaufen bei Angebotsware, sofern sie nicht verderblich ist, auf Vorrat (Beispiel: Kaffee) – oder ändern bei starken Preisausschlägen ihre Pläne. Aktuelles Beispiel Paprikapreis: durch geringere Erntemengen infolge der Flutkatastrophen in Teilen Südeuropas kletterte der Preis für das Gemüse im Frühjahr 2025 auf immer neue Rekordhochs und bewog Verbraucher, lieber zu anderem Gemüse zu greifen.
In einem solchen, hoch volatilen Marktumfeld ist es Aufgabe dynamischer Preisbildungslösungen, Nachfrage, Wettbewerb, Warenverfügbarkeit und Margenziele intelligent miteinander zu verbinden. Auch hier setzt KI entscheidende Impulse, indem sie die Preissensitivität einzelner Produktgruppen ermittelt, Preisszenarien für Aktionszeiträume (z. B. Black Friday) modelliert und Aspekte wie Kanal oder Standort einbezieht. Mit Hilfe von KI können Händler auf Basis historischer Daten und aktueller Entwicklungen automatisiert Preisstrategien entwerfen, testen und ausspielen lassen.
IT-Infrastruktur: Ohne moderne Datenarchitektur keine KI-Revolution
Alle genannten Vorteile von KI helfen dem Einzelhandel, angesichts sinkender Konsum-Budgets der Verbraucher und wachsendem Konkurrenzdruck (Stichwort: Billig-Anbieter wie Temu) wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Haken: Gerade kleinere und mittlere Handelsbetriebe in Deutschland kämpfen mit jahrzehntealter IT. Systeme für Lager, Kasse, CRM, Online-Shop oder Marketing existieren zwar, in der Praxis aber eher nebeneinander als miteinander.
Um das Potenzial von KI-Implementierungen zu erschließen, benötigen Handelsunternehmen daher echtzeitfähige, cloud-native Datenplattformen, flexible Datenmodelle für schnelle Anpassbarkeit und die Möglichkeit, strukturierte wie unstrukturierte Daten gemeinsam zu analysieren (z. B. PDFs, Rechnungen, Bilder). All das bietet eine dokumentenbasierte Datenplattform, die sowohl transaktionale als auch analytische Lasten in Echtzeit unterstützt und so in datenintensiven Handelsumfeldern wie etwa Mode, Lebensmittel oder Elektronik nicht nur für Skalierbarkeit sorgt, sondern auch die Ausführung von KI-Anwendungen direkt auf aktuellen Geschäftsdaten erlaubt.
Fazit: Datengetriebener Handel als neuer Branchenstandard
Die KI-Revolution im Handel ist längst kein Zukunftsthema mehr, sondern vielerorts bereits Realität. Händler wie dm oder Lidl zeigen, dass datenbasierte Entscheidungen Effizienz, Kundenzufriedenheit und Umsatz gleichermaßen steigern können. Entscheidend ist jedoch, dass diese Strategien skalierbar, flexibel und auf den europäischen Markt zugeschnitten sind – auch mit Blick auf Datenschutz, IT-Sicherheitsvorgaben, regionale Märkte und Logistikstruktur.
In einem Marktumfeld, das schneller, vernetzter, fordernder und umkämpfter wird, ist KI im Handel ein wesentlicher Bestandteil der Geschäftsstrategie. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der Fähigkeit, Daten in Echtzeit nutzbar zu machen. So können Handelsunternehmen nicht nur Kunden begeistern, sondern die Branche insgesamt transformieren und zukunftsfähiger aufstellen. Wer jetzt investiert, kann 2025 den Markt aktiv mitgestalten.
Optionaler Infokasten: KI im Handel – Vier aktuelle Fakten
- Preisbewusstsein: Laut einer PwC-Studie aus dem Jahr 2024 zählt eine hohe Preissensitivität zu den zentralen Trends im aktuellen und zukünftigen Einkaufsverhalten.
- Onlinehandel wächst weiter: Laut dem IFH Köln wird der Umsatz im B2C-E-Commerce in Deutschland im Jahr 2024 um bis zu 4,1 % steigen, was einem Marktvolumen von 104,7 Milliarden Euro entspricht. Für 2025 wird ein weiteres Wachstum erwartet.
- KI ist der Top-Trend im Handel: In der EHI-Studie „Technologie-Trends im Handel 2025“ ordneten alle Teilnehmer KI als wichtigsten Zukunftstrend ein. Entsprechend stehen KI-Implementierungen auf der Investitionsagenda ganz oben.
- Mehr Effizienz und Nachhaltigkeit durch weniger Retouren: Laut der ebenfalls vom EHI durchgeführten Studie Versand- und Retourenmanagement im E-Commerce hat die Vermeidung von Retouren für die meisten Onlinehändler höchste Priorität. Immer mehr setzen dabei auf KI für präzisere Produktempfehlungen.