Während die Trilog-Verhandlungen zur Richtlinie über digitale Inhalte bereits in vollem Gange sind, hat der IMCO-Ausschuss des Europäischen Parlamentes (Binnenmarkt & Verbraucherschutz) am 22. Februar 2018 den Bericht von Pascal Arimont (EVP, BE) über die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels angenommen (Text liegt noch nicht vor).
Zu den für den Handel wichtigsten Aspekten der Parlamentsposition
- Anwendungsbereich (Artikel 1 & 2a): Der Bericht erweitert den Anwendungsbereich der Richtlinie im Vergleich zum Kommissionsvorschlag auf stationäre Verkäufe. Damit würde die Richtlinie den gesamten Warenhandel umfassen. Die Abgeordneten haben sich zudem dafür entschieden, dass Produkte mit integrierter Software (z.B. der „smarte Kühlschrank“) ebenfalls unter diese Richtlinie fallen sollen. Die Vorschriften dieser Richtlinie gelten allerdings nur für das physische Produkt selbst und nicht für die integrierte Software. Die Richtlinie findet ebenso Anwendung auf CDs und DVDs, aber hier auch wieder nur auf den physischen Träger und nicht den digitalen Inhalt.
- Harmonisierungsgrad (Artikel 3): Das Ziel der Vollharmonisierung wird de facto aufgegeben. Das Harmonisierungsprinzip wird umgekehrt: Es sind nicht länger alle Vorschriften der Richtlinie als vollharmonisiert anzusehen, außer jenen, wo dies ausdrücklich vermerkt ist, sondern es ist grundsätzlich von einer Mindestharmonisierung auszugehen, es sei denn eine Vollharmonisierung wird ausdrücklich erwähnt (z.B. bei der Beweislastumkehr). Bestimmte nationale Sonderregelungen, z.B. zu versteckten Mängeln (aus BE & FR) oder das Recht zur sofortigen Vertragsauflösung im Mangelfall (aus UK) werden explizit erwähnt, können beibehalten und auch neu eingeführt werden. Die Gewährleistungsfristen werden auf dem jeweiligen aktuellen, nationalen Niveau „eingefroren“ (siehe übernächster Punkt).
- Langlebigkeit (Artikel 5): Langlebigkeit (oder Haltbarkeit) wurde als objektive Anforderung an die Vertragsmäßigkeit eines Produktes aufgenommen und definiert als „Fähigkeit eines Produktes, seine geforderte Leistung über einen vorgegebenen oder langen Zeitraum zu erhalten, unter Annahme eines normalen oder durchschnittlichen Nutzungsgrades und vor dem Hintergrund vorhersehbarer Handlungen“ (grob übersetzt).
- Gewährleistungsfrist (Artikel 8): Die Frist von zwei Jahren wird grundsätzlich beibehalten (wie im ursprünglichen Vorschlag und aktuell in Deutschland), allerdings dürfen Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttreten der Richtlinie über strengere Vorschriften (sprich längere Fristen) verfügen, diese behalten. Danach können die Fristen in keinem Mitgliedstaat mehr verlängert und nur noch in jenen mit längeren Fristen (auf minimum zwei Jahre) verkürzt werden. Bei gebrauchten Gütern können die Mitgliedstaaten entscheiden, die Frist zu verkürzen.
- Frist für die Beweislastumkehr (Artikel 8a): Hier wird die Frist im Vergleich zum Kommissionsvorschlag von 24 auf 12 Monate gesenkt und vollharmonisiert. Auch hier können die Mitgliedstaaten für gebrauchte Güter eine kürzere Frist festlegen. Auf Basis der vom HDE hat im vergangenen Jahr im Hinblick auf die geplante europäische Gesetzgebung beauftragte Untersuchung der Kosten des Gewährleistungsrechts im Einzelhandel durch IW Consult GmbH rechnen wir bei der nun geplanten Verdoppelung der Beweislastumkehrfrist überschlägig mit neuen Belastungen von über 100 Mio. Euro, die den Einzelhandel zusätzlich jährlich belasten würden.
- Unterbrechung und Neubeginn der Gewährleistungsfrist (Artikel 9): Während der Reparatur oder Nachlieferung eines mangelhaften Produktes soll die Gewährleistungsfrist ausgesetzt werden bis der Kunde das mangelfreie Produkt (zurück) erhalten hat. Wenn bei einer Nachbesserung eine Komponente des Produktes durch ein Ersatzteil ersetzt wird oder falls ein mangelhaftes Produkt vollständig durch ein mangelfreies Produkt ersetzt wird, beginnt eine neue Gewährleistungsfrist von zwei Jahren (für das Ersatzteil oder das neue Produkt respektive). Hiermit droht eine Kettengewährleistung bzw. mindestens eine Verdopplung der Frist auf vier Jahre.
- Mangelbeseitigung innerhalb von 30 Tagen (Artikel 9a & 10): Egal ob ein mangelhaftes Produkt repariert oder ersetzt wird, soll der Händler für diese Mangelbeseitigung maximal 30 Tage Zeit zur Verfügung haben.
- Preisminderung und Rücktritt vom Vertrag (Artikel 9): Die Rangfolge der Gewährleistungsrechte wird aufgeweicht und der Zugang zu zweiten Stufe erleichtert. So kann der Kunde eine Minderung des Kaufpreises verlangen oder vom Vertrag zurücktreten wenn a) Reparatur/Ersatzlieferung unmöglich oder unverhältnismäßig sind, b) der Händler den Mangel nicht innerhalb der 30-Tage-Frist beseitigt, c) ein erneuter Mangel auftritt nachdem der Händler schon nachgebessert hat, d) der Mangel von solch erheblicher Natur ist, dass Minderung oder Rücktritt gerechtfertigt sind und e) der Händler sich weigert, den Mangel zu beseitigen bzw. dies aus den Umständen klar hervorgeht.
- Erstattung des Kaufpreises (Artikel 13): Hier wurden die Rechte des Händlers gestärkt, da dieser bei Rücktritt vom Vertrag dem Verbraucher die Kosten erst erstatten muss, wenn er auch wirklich das mangelhafte Produkt zurückerhalten hat (und folglich prüfen konnte). Ihm wird eine 14-tägige Frist ab Erhalt des Gutes gesetzt.
- Regressansprüche (Artikel 16): Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert die Fristen für den Rückgriff in der Lieferkette zwingend nicht kürzer als die Gewährleistungsfristen auszugestalten.
- Informationspflicht für Ersatzteile (Artikel 16a): Die Mitgliedstaaten sollen Händler und Hersteller „ermutigen“ die Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über die Existenz von Ersatz- und Zubehörteilen zu informieren, die auf dem Markt verfügbar und „für die Verwendung des Produktes notwendig“ sind.
Bewertung
Für den Einzelhandel sind die geplanten Änderungen im Bereich des Gewährleistungsrechts grundsätzlich von besonderer Brisanz. Nach der Beschlussfassung des EU-Parlaments soll de facto auf eine Vollharmonisierung des europäischen Kaufrechts verzichtet werden, während gleichzeitig die Frist für die Beweislastumkehr im Gewährleistungsrecht von derzeit sechs Monaten auf ein Jahr angehoben werden soll. Zudem wurden weitere Verschärfungen der Verbraucherrechte mit Kostenwirkungen für die Einzelhändler in anderen Fragen des Gewährleistungsrechts beschlossen, allen voran der Neubeginn der Gewährleistungsfrist. Nachdem das Ziel der Vollharmonisierung vom EU-Parlament praktisch aufgegeben wurde, stehen den drohenden Belastungen damit kaum Vorteile der Wirtschaft gegenüber. Daher lehnen wir diese Position ausdrücklich ab, was wir auch (gemeinsam mit dem BDI) in einem Brief an alle Abgeordneten des Ausschusses im Vorfeld der Abstimmung kommuniziert haben. Im ursprünglichen Berichtsentwurf waren die Interessen des Handels noch sehr weitgehend berücksichtigt worden, der Berichterstatter konnte sich mit dieser Position gegenüber den anderen Parteien allerdings nicht durchsetzen. Vor diesem Hintergrund bewerten wir die Pläne des Europäischen Parlaments sehr kritisch und treten für eine Aufrechterhaltung des Status quo im Gewährleistungsrecht ein. Die geltenden Fristen schützen die Verbraucher auch nach eigener Einschätzung ausreichend. Sie können daher als ausgewogene Lösung bewertet werden, welche einen Ausgleich der Wirtschafts- und Verbraucherinteressen realisiert.
Nächste Schritte
Rat und Parlament müssen sich gemeinsam auf einen Text einigen, um das Gesetzgebungsverfahren zum Abschluss zu bringen. Damit kann nicht vor Herbst 2018 gerechnet werden. Neben der Annahme des Textes stimmte der EP-Ausschuss auch dafür, in Trilog-Verhandlungen einzutreten, sobald der Rat seinen Standpunkt zu dieser Richtlinie ebenfalls festgelegt hat. Die Verhandlungen im Rat sind allerdings noch nicht besonders weit fortgeschritten und das Verfahren kann sich somit hinziehen.