„Lokal UND digital?!“ Mit dieser Frage eröffnete Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland, die Veranstaltung „Lokal und digital – Chancen und Potenziale für den Einzelhandel“, die am Abend des 29. März 2017 im Haus der Commerzbank großen Anklang fand.
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE, in der Diskussion
Stefan Genth thematisierte in seiner Rede zunächst, dass stationärer Handel und Online-Handel längst keinen Widerspruch mehr darstellten. Das Kundenverhalten habe sich stark verändert, sodass ein Großteil der Verbraucher mittlerweile kanalübergreifend und produktzentriert einkaufe. Dieser Wandel stelle den Einzelhandel vor neue Herausforderungen: „Wer online nicht gefunden wird, wird bald auch stationär nicht mehr gefunden“, prognostizierte Stefan Genth. Jedoch solle es nicht darum gehen, die lokalen Händler in reine Onlinehändler zu verwandeln. Vielmehr müsse Chancengleichheit für Händler aller Vetriebskanäle gewährleistet werden. Das beinhalte im ersten Schritt insbesondere einen flächendeckenden Breitbandausbau. Damit dieser Ausbau seine Früchte trage, müssten Händler jedoch auch in der Lage sein, rechtssicher freies WLAN anzubieten. Bis dato sorge die WLAN-Störerhaftung für erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken. Im zweiten Schritt erfordere die fortschreitende Digitalisierung eine Anpassung der Bildungsinhalte – 40% der Händler könnten ihren entsprechenden Fachkräftebedarf derzeit nicht decken. Der/die vom HDE initiierte E-Commerce Kaufmann/-frau gehe dabei mit gutem Beispiel voran.
Im Anschluss stellte der parlamentarische Staatssekretär Dirk Wiese Erkenntnisse aus der Dialogplattform Einzelhandel vor, deren Abschlussdiskussion am 6. Juni 2017 stattfindet. Dabei betonte er, dass der Einzelhandel eine der am stärksten von der Digitalisierung geprägten Branchen sei und stellte die wichtige Rolle des HDE heraus: „Die Innenstädte drohen zu veröden und auch die ländliche Nahversorgung ist in Gefahr. Gut, dass sich der HDE kümmert!“. Übereinstimmend mit Stefan Genth wurde außerdem die Wichtigkeit des Glasfaserausbaus hervorgehoben. Dieser habe oberste Priorität.
Stefan Wenzel, Vice President eBay Deutschland, machte anschließend in seinem Vortrag darauf aufmerksam, dass 66% der Händler in Deutschland ihre Produkte nicht online verkauften. 10% seien gar nicht im Internet aktiv. Damit würden die zahlreichen Möglichkeiten, die sich durch Omnichannelstrategien ergäben, zurzeit nicht genutzt. So seien vor allem Online-Marktplätze ein wichtiger Schritt auch für stationäre Händler, da sie die digitale Sichtbarkeit erheblich erhöhen könnten. Anschließend stellte Stefan Wenzel anhand verschiedener Projekte vor, in welcher Weise eBay den lokalen Einzelhandel direkt unterstützt. Ein Beispiel stellt die Stadt Diepholz dar, die als Gewinner aus dem gemeinsam mit dem HDE veranstalteten Wettbewerb „Digitale Innenstadt“ hervorging und ein umfassendes Paket zur digitalen Förderung des Handels erhielt. Diepholz profitiere nun zum einem vom kostenlosen WLAN in seinen Ladengeschäften, und zum anderen von der Anbindung an den eBay-Marktplatz. Laut Stefan Wenzel konnte die Stadt so ihren Umsatz auf durchschnittlich 30.000 Euro pro Jahr steigern. Ebay wolle seine Initiative in Zukunft daher weiter ausbauen.
Parlamentarischer Staatsekretär Dirk Wiese, Hansjörg Durz MdB, Prof. Dr. Gerrit Heinemann und Stefan Wenzel bei der Eröffnungsrede von Stefan Genth (von vorne nach hinten)
Nach den einführenden Worten begann die Podiumsdiskussion, moderiert von Dr. Inga Michler. Neben Stefan Wenzel und Stefan Genth diskutieren Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein, sowie die Bundestagsabgeordneten Hansjörg Durz (CSU) und Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen). Innerhalb der Expertenrunde wurden die Potenziale der Digitalisierung für kleine Händler zur Debatte gestellt. Gleich zu Beginn stellte Prof. Dr. Gerrit Heinemann klar: „Händler mit einer “digitalen Allergie“ haben schlechte Karten.“ Als großes Thema innerhalb der Diskussion präsentierten sich Citylogistik und innerstädtische Mobilität. Laut Hansjörg Durz MdB müsse in den Straßenverkehr investiert werden, da manche Geschäftsmodelle von dieser Form der Erreichbarkeit abhängig seien, während Dieter Janecek MdB hingegen den massiven Ausbau der E-Bike Mobilität forderte. Stefan Genth merkte an der Stelle die unterschiedlichen Bedürfnisse und Strukturen einzelner Regionen an, die individuelle Konzepte erforderten. Weiter betonte er, dass die Politik über spezifische Rahmenbedingungen nachdenken müsse, um Digitalisierung auch für den Mittelstand zu ermöglichen. Hier sei es wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere im Kontext von Datenschutzrichtlinien im Auge zu behalten. So würden mittelständische Unternehmen durch die Masse an gesetzlichen Regelungen vor große Herausforderungen gestellt. Die Bewältigung falle häufig schwer. Dieter Janecek merkte an, dass genau deshalb europäische Regelungen von großer Bedeutung seien.
Janecek kritisierte außerdem das deutsche Abmahnwesen, welches ein großes Hindernis für Händler darstellen würde. Es fehle beispielsweise an Pauschalbeträgen. Auch Stefan Genth sah Verbesserungspotenzial, insbesondere im WLAN Abmahnmissbrauch, aber auch in den angedachten Regelungen zur Barrierefreiheit. So würden zu strenge Vorgaben bezüglich der Vertextlichung von Bildern etc. große finanzielle Aufwände mit sich bringen und kleine Mittelständler somit aus der digitalen Welt verdrängen. Auch beim Geoblocking gebe es Nachbesserungsbedarf. Hier müsse der Händler autonom darüber entscheiden dürfen, in welches Land er liefern möchte und in welches nicht. Eine Verkaufs- oder Lieferverpflichtung würde einen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellen und den Wettbewerb in Europa einschränken. Genth erzählte von einem Mittelständer, der weltweit Koffer verkaufe und sich auf Grund der mangelhaften Logistik gegen eine Lieferung nach Griechenland entschieden hatte. Die Koffer seien zu oft verschwunden und hätten damit hohe Kosten verursacht – ein Kontrahierungszwang könne hier nicht die richtige Antwort sein.
Insgesamt war man sich jedoch einig: Die Handelswelt findet mittlerweile sowohl stationär, als auch digital statt. Ziel muss es sein, dass beide Bereiche gestärkt werden und die Digitalisierung auch für den Mittelstand ermöglicht wird. Hier sind vor allem individuelle Konzepte gefragt, die auf die Bedürfnisse verschiedener Händler eingehen.
Stefan Wenzel, Dieter Janecek MdB, Dr. Inga Michler, Hansjörg Durz MdB, Prof. Dr. Gerrit Heinemann und Stefan Genth nach der Podiumsdiskussion (von links nach rechts)