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Zulässigkeit pauschaler Plattformverbote

Die EU-Kommission vertritt die Auffassung, dass pauschale Plattformverbote grundsätzlich nicht vom Hersteller gerechtfertigt werden können, wenn der Hersteller gleichzeitig seine Produkte direkt über die (verbotene) Plattform vertreibt. Dies ist das wesentliche Ergebnis eines Gesprächs des HDE mit Vertretern der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission.

Hintergrund des am 6. Juli 2017 in Brüssel geführten Gesprächs war die Tatsache, dass Markenartikelhersteller seit einigen Wochen flächendeckend und produktunabhängig pauschale Plattformverbote gegenüber den Händlern aussprechen. Die Hersteller bewerten diese Praxis offenbar wegen der folgenden Formulierung im Abschlussberichts der Kommission über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel (COM (2017) 229 final, Rdnr. 41 f.) als kartellrechtlich unproblematisch:

… die Ergebnisse (der Sektoruntersuchung lassen) darauf schließen, dass Marktplatzverbote nicht grundsätzlich zu einem De-facto-Verbot des Online-Verkaufs führen oder die effektive Nutzung des Internets als Verkaufskanal … beschränken. … Absolute Plattformverbote (sollten daher) nicht als Kernbeschränkung im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b und Artikel 4 Buchstabe c der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen angesehen werden …

Die Kommission kommt also zu dem Ergebnis, dass auch vom Lieferanten ausgesprochene pauschale Plattformverbote nicht per se, sondern nur in Ausnahmefällen als unzulässig anzusehen sind (a. a. O., Rdnr. 43). Die Kommission lässt in dem Bericht weiterhin erkennen, dass pauschale Plattformverbote zu Effizienzsteigerungen führen und damit von den Lieferanten gerechtfertigt werden könnten (Rdnr. 42).

Der HDE vertritt dagegen – wie auch das Bundeskartellamt – die Auffassung, dass Plattformverbote nur im Rahmen von selektiven Vertriebssystemen unter den entsprechenden Voraussetzungen zulässig sein können. Plattformverbote kommen danach nur in Betracht, soweit sie objektive Kriterien qualitativer Art für die Plattformnutzung formulieren. Da pauschale Plattformverbote keine qualitativen Kriterien enthalten, müssen solche Vertriebsbeschränkungen unserer Meinung nach immer als Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB bewertet werden (so auch das Bundeskartellamt im Fallbericht „Adidas“ vom 19.08.2014, Az. B3-137/12, S. 3). Dies sollte unabhängig vom Marktanteil des betroffenen Produkts gelten, da hier eine – grundsätzlich und unabhängig vom Marktanteil unzulässige – Gebietsbeschränkung im Sinne der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Art. 4 b.) vorliegt. Pauschale Plattformverbote richten sich in der Praxis nämlich gerade bei Einzelhändlern kleiner und mittlerer Größe gegen den Internetvertrieb als solchen. Richtigerweise hat hierzu das Bundeskartellamt festgestellt: „Insbesondere kleinen und mittleren Fachhändlern … wird (durch pauschale Plattformverbote) der Zugang zu neuen Kundengruppen … erheblich erschwert“ (Bundeskartellamt, a. a. O., S. 4). Der HDE möchte ergänzen: „wenn nicht faktisch unmöglich gemacht“.

Am 6. Juli 2017 erörterte der HDE die Problematik und die unterschiedlichen Rechtsauffassungen mit dem Leiter der Task Force für den Digitalen Binnenmarkt in der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission.

Der HDE hat der Kommission erläutert, dass in den letzten Jahren in Deutschland pauschale Plattformverbote durch das Bundeskartellamt mühsam zurückgedrängt wurden, die Einzelhändler nun aber seit der Veröffentlichung des Abschlussberichts der EU-Kommission über die Sektoruntersuchung wieder mit entsprechenden Vertriebsbeschränkungen der Lieferanten überzogen werden. Wir haben unsere Rechtsauffassung dargelegt und die von der EU-Kommission vorgenommene Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses bei der kartellrechtlichen Würdigung pauschaler Plattformverbote kritisiert. Außerdem haben wir darauf hingewiesen, dass Händler wegen der kurzen Fristen, die von den Herstellern für die Umsetzung pauschaler Plattformverbote vorgegeben werden, teilweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die Schwierigkeiten resultieren aus der Tatsache, dass von den Händlern beim Einkauf alle Absatzmöglichkeiten vorausgesetzt wurden und nun mit den Plattformen eine wesentliche Möglichkeit, Umsatz zu generieren, wegfällt.

Der HDE hat konkrete Kriterien für die Plattformnutzung innerhalb von selektiven Vertriebssystemen in dem Gespräch keineswegs in Frage gestellt. Qualitätsvorgaben müssen in solchen Systemen nach unserer Auffassung auch für die Nutzung von Online-Plattformen zulässig sein, da sie zu Effizienzsteigerungen führen können. Wir haben aber gleichzeitig betont, dass dabei die von der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 13.10.2011, Rs. C-439/09) entwickelten Grundsätze für selektive Vertriebssysteme beachtet werden müssen. Insbesondere müssen Plattformverbote daher zur Durchsetzung der Qualitätsanforderungen notwendig sein und der Wettbewerb muss durch das Plattformverbot gestärkt werden. Plattformverbote allein zur Erhaltung des Markenimages sind auch nach der o. g. Rechtsprechung unzulässig.

Gegenüber der EU-Kommission hat der HDE deutlich gemacht, dass generelle und nicht konkretisierte Plattformverbote aufgrund ihrer Pauschalität offensichtlich nicht an objektive Kriterien geknüpft sind und damit auch in selektiven Vertriebssystemen nach den Regeln des EuGH als unzulässig bewertet werden müssen.

Intensiv diskutiert wurde mit den Vertretern der EU-Kommission die Frage, ob durch pauschale Plattformverbote der Wettbewerb gestärkt oder Effizienzen generiert werden können. Dabei ist deutlich geworden, dass die EU-Kommission die zunehmende Konzentration der Plattformen und die in diesem Bereich entstehende Marktbedeutung einzelner Plattformen für den Online-Vertrieb kritisch bewertet. Dem hat der HDE nicht widersprochen, die Maßnahmen der EU-Kommission aber als ungeeignete Antwort auf die Problematik kritisiert. Die Intention der Kommission, die gewachsene Marktbedeutung der Plattformen durch eine faktische Legalisierung pauschaler Plattformverbote reduzieren zu wollen, ist nach Einschätzung des HDE wenig erfolgversprechend.

Wettbewerbsintensivierend und auch im Interesse der Verbraucher effizienzsteigernd würden aber konkrete Plattformverbote mit objektiven Kriterien für die zu nutzenden Plattformen wirken. Diese würden entweder zu einer qualitativen Weiterentwicklung bestehender Plattformen führen oder konkurrierenden Plattformen mit einem qualitativ besseren Angebot neue Marktchancen geben. Pauschale Plattformverbote wirken dagegen der Verkrustung des Plattformmarktes nicht entgegen, fördern aber eine Konzentration im Einzelhandel. Konkrete Plattformverbote mit objektiven Kriterien verschließen dagegen kleineren Online-Händlern nicht den Zugang zu neuen Kundengruppen und sind ein geeignetes Mittel, den tatsächlich hochkonzentrierten Plattformmarkt in Bewegung zu bringen.

Dieser Argumentation mochten sich auch die Vertreter der EU-Kommission nicht völlig zu verschließen und räumten ein, dass pauschale Plattformverbote immerhin dann als unzulässig zu bewerten seien, wenn die Hersteller die – gegenüber Händlern verbotenen – Plattformen für den eigenen Direktvertrieb nutzten.

Die Vertreter der EU-Kommission betonten in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung von Preissuchmaschinen, um Händlern aus dem KMU-Bereich den Zugang zum Verbraucher zu erleichtern. Pauschale Verbote, Preissuchmaschinen zu nutzen, würden daher von der Kommission sehr kritisch bewertet. Dem stimmte der HDE zu und verwies auf die Motivation der Markenartikelindustrie bei der Aussprache von Plattformverboten und Preissuchmaschinenvorbehalten: Hierbei verfolgt die Markenartikelindustrie nach unserer Einschätzung nämlich häufig nicht das Ziel, das Produktimage zu erhalten oder im Interesse der Verbraucher einen qualitativ hochwertigen Vertrieb zu gewährleisten, sondern will wettbewerbswidrig Preisdruck minimieren.

Leider konnten wir die Vertreter der EU-Kommission nicht dazu bewegen, ihre kritische Einschätzung pauschaler Plattformverbote bei gleichzeitiger Nutzung der Plattformen durch die Hersteller auch schriftlich zu artikulieren und dem Markt damit eine Handlungshilfe zur Verfügung zu stellen. Wir wurden aber immerhin auf die folgenden Ausführungen in dem Commission Staff Working Document, Final report on the E-commerce Sector Inquiry (COM(2017) 229 final, Rdnr. 514) verwiesen:

Brand protection considerations or an alleged lack of sufficient pre- or post-sale advice on marketplaces will be less convincing … if the manufacturer is itself selling on the marketplace directly to customers.

Damit wird durch die Kommission wenigstens angedeutet, dass pauschale Plattformverbote nicht mit Effizienzsteigerungen gerechtfertigt werden können und damit unzulässig sind, wenn der Hersteller selbst über den Marktplatz direkt an Kunden verkauft.

Im Übrigen wird sich die Kommission jeder weiteren schriftlichen Äußerung zu dieser Thematik trotz unserer ausdrücklichen Aufforderung bis zur anstehenden Entscheidung in der beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängigen Sache Coty ./. Akzente (Rs. C-230/16) enthalten. Auch das Bundeskartellamt will die Entscheidung des EuGH abwarten. In diesem Verfahren hat das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob in selektiven Vertriebssystemen ein pauschales Verbot des Plattformvertriebs zur Sicherung der Qualitätsanforderungen des Herstellers tatsächlich erforderlich ist. Der Generalanwalt wird in wenigen Tagen in der Sache plädieren. Mit einer Entscheidung ist aber erst Ende 2017 oder Anfang 2018 zu rechnen. Dann allerdings erwarten wir deutlich mehr Rechtssicherheit für die im Internet aktiven Einzelhändler.

Kontakt:
Dr. Peter Schröder
Bereichsleiter Recht & Verbraucherpolitik

Tel.: 030 726250-46
E-Mail: schroeder@hde.de

>> Hier den Abschlussbericht der EU-Kommission zur Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel downloaden